Die kirchenkritische Zeitschrift Publik-Forum veröffentliche Anfang Mai ein Interview, dass im April mit mir geführt worden war. Der kursive Text stammt von der Redaktion:
Ein evangelischer Pfarrer engagiert sich bei den Piraten, obwohl diese
Christen nicht mögen. Fragen an Hans Immanuel Herbers
Herr Herbers, Sie waren dreißig Jahre lang bei den Grünen politisch
aktiv, seit 2009 sind Sie Mitglied der Piraten-Partei. Ist das eine
Abkehr von alten Idealen?
Hans Immanuel Herbers: Ich sehe darin einen konsequenten Weg, weil für
mich das Prinzip der Freiheits- und Bürgerrechte immer im Zentrum meines
politischen Engagements stand.
Inzwischen sprechen Sie von »grüner Zwangsbeglückung«.
Herbers: Ja, das ist leider eine Richtung, in der die Grünen immer
stärker gegangen sind. Man versucht das, was man für politisch gut,
richtig und korrekt hält, mit obrigkeitsstaatlichen Mitteln
durchzusetzen: Wo ein Problem ist, muss ein Gesetz her, das dieses
Problem regelt und limitiert. Das ist obrigkeitsstaatliches Denken. Die
Grünen fordern jetzt in Nordrhein-Westfalen flächendeckend Tempo 120.
Haben sie das durchgesetzt, wird die Forderung nach Tempo 100 kommen und
so weiter.
Sie sehen in den Piraten Vertreter eines liberalen Freiheitsverständnisses?
Herbers: Ja. Ein liberales Freiheitsverständnis prägt auch unser
Grundgesetz. Das Grundgesetz ist der Versuch einer Abkehr vom
altpreußischen Obrigkeitsstaat und eine Hinwendung zu traditionell
westlichen Ideen von Freiheit und Liberalität.
Für viele liegt es durchaus in der Tradition eines liberalen
Freiheitsverständnisses, wenn die Piraten sich für eine Trennung von
Kirche und Staat aussprechen, die Privilegierung der Kirchen beenden
wollen und den staatlichen Einzug der Kirchensteuer ablehnen. Teilen Sie
als Pfarrer diese Positionen?
Herbers: Hier in Nordrhein-Westfalen, in Königswinter, wurde gerade eine
sehr beliebte Kindergartenleiterin von der katholischen Kirche gefeuert,
weil ihr deren Eheleben nicht mehr gefiel. Dieser Kindergarten hat den
betreffenden Stadtteil allein versorgt. Er wurde aus öffentlichen
Mitteln und Elternbeiträgen finanziert. Die Eltern und Mitarbeiterinnen
standen voll hinter der Erzieherin. So war es konsequent, dass die Stadt
Königswinter, der die Räume gehören, den Vertrag mit der katholischen
Kirche jetzt gekündigt hat. Es kann doch nicht sein, dass in einer
Gesellschaft, in der große Teile der Bevölkerung nicht mehr religiös
gebunden sind, öffentliche Einrichtungen, die aus öffentlichen Mitteln
bezahlt werden, den Normen einer Kirche zu folgen haben.
Und wie sieht es mit der Kirchensteuer aus?
Herbers: Die Kirchensteuer ist für mich eigentlich kein Problem der
Finanzerhebung, das könnten die Kirchen auch selber machen. Es geht um
die Frage, wie weit sich der Staat in die persönlichen Belange der
Bürger einmischen darf. Warum geht es den Staat etwas an, ob ein Bürger
evangelisch, katholisch oder ein Muslim ist? Das geht ihn deswegen an,
weil er die Kirchensteuer kassieren muss. Das ist nicht gut vereinbar
mit einer »datensparsamen« Gesellschaft, wie wir sie uns vorstellen:
Öffentliche Stellen sollten nur jene Daten der Bürger erheben, die sie
wirklich wissen müssen. Was die Piraten aber am meisten ärgert, sind die
Staatszahlungen an die Kirche. Kann es denn sein, dass Hunderte
Millionen Euro vom Staat an die Kirchen direkt bezahlt werden für
Gehälter von Bischöfen, Präsides, Prälaten und für Kirchenzentralen, nur
weil 1804 Kirchenbesitz verstaatlicht wurde? Wer will denn so etwas in
einer Demokratie noch vertreten? Das ist ein großes Ärgernis. Ich frage
mich, warum die Kirchen hier nicht selbst ein Klärungsangebot machen.
Beim Nominierungsparteitag der NRW-Piraten sind Sie nicht wieder auf
einen aussichtsreichen Listenplatz gewählt worden. Gibt es ein
Misstrauen bei den Piraten gegenüber Kirchenvertretern?
Herbers: Zumindest waren die Fragen, die mir auf dem Parteitag gestellt
wurden, überwiegend darauf bezogen. Daraus kann man schließen, dass
diese Kirchenbindung für viele ein größeres Problem war. Es ist schon
so, dass man einen sehr schweren Stand hat als aktiver und dafür
bekannter Christ, weil in Teilen der Partei das Christsein für geradezu
inkompatibel mit dem Piratsein gehalten wird. Nach dem Parteitag bekam
ich eine Menge E-Mails aus anderen Landesverbänden von aktiven Christen,
die mir schrieben, dass ihr Christsein ihnen einen schweren Stand in der
Partei bereite.
Für Sie geht Christsein und Piratsein gut zusammen. Ihre Losung heißt:
»creamus, ergo sumus«, zu deutsch: »Wir schaffen, also sind wir« - in
Anspielung auf den berühmten Satz des Philosophen René Descartes
»Cogito, ergo sum« - »Ich denke, also bin ich.«
Herbers: Die Frage, die sich mir stellt, lautet: Was konstituiert
eigentlich sozialen Zusammenhang und Gemeinschaft im Zeitalter von Web
2.0? Meine Folgerung ist: »Wir erschaffen etwas gemeinsam, und darum
sind wir.« Wir sind ein Wir, nicht nur ein Ich. Es entsteht etwas
Gemeinschaftliches aus dem Fluss kreativen Tuns. Das ist es, was ich in
der Piratenpartei, aber auch im Bereich von Online-Communities erlebe.
Wo ein Ich zum Wir wird, erkenne ich eine neue Qualität - nicht
kollektivistisch, sondern durch das Ineinandergreifen von Ideen und
Vorstellungen von Einzelnen, die sich immer wieder neu zu etwas
Gemeinschaftlichem zusammentun.
Das liberale Individuum wird in eine größere Gemeinschaft integriert?
Herbers: Ja, aber nicht in eine festgefügte Gemeinschaft. Die Antwort
auf die Individualisierung der Industriegesellschaft war die
Arbeiterbewegung, die dem Menschen eine festgefügte Kampfgemeinschaft
anbot, die Menschen in Gut und Böse teilte und damit große Erfolge
hatte. Heute gibt es die Möglichkeit, Gemeinschaft in immer neuen Formen
zu suchen, ohne zu einer Einheitsgruppe kommen zu müssen. Gemeinschaft
wird unter Beibehaltung der Individualität erfahren. Und genau das
ermöglichen in der Tat die Gemeinschaftsformen des Internet.
Und was hat das mit Christsein zu tun?
Herbers: Christen stehen als Einzelne da - »Ich habe Dich bei Deinem
Namen gerufen« -, sind aber zugleich an eine Gemeinschaft verwiesen; und
zwar nicht nur an die Gemeinschaft der Glaubenden, sondern an die
Gemeinschaft aller Menschen. Dabei wird die Verschiedenheit der
Einzelnen nicht aufgehoben.
Hans Immanuel Herbers, geboren 1958, ist Pfarrer der Lippischen
Landeskirche.
Er war Mitbegründer des
Landesverbands NRW der »Grünen«, seit 2009 ist er
Mitglied der Piratenpartei.
Er liebt online-Rollenspiele.
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